Der Fall Kupelwieser
Lunz am See, Schloss Seehof, Stammsitz der Familie Kupelwieser. Zum Familienbesitz gehörte neben dem forstwirtschaftlichen Gut Seehof auch das landwirtschaftliche Gut Kyrnberg in Pyhra, nahe St. Pölten. Mit dem Namen Kupelwieser sind außerdem zahlreiche Stiftungen verbunden. Die Schwiegereltern Pauline Kupelwiesers, Bertha und Carl Kupelwieser, haben sich zur Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert als das verstanden, was man heute Gutmenschen nennt. Bertha Kupelwieser, eine geborene Wittgenstein, ließ in Scheibbs ein Krankenhaus bauen. Ihr Ehemann Carl, ein geschäftstüchtiger Jurist, schenkte dem Land Niederösterreich die Landwirtschaftsschule Pyhra, die heute noch in Betrieb ist. Außerdem hatte Carl Kupelwieser großes Interesse an den Naturwissenschaften und ermöglichte den Bau einer biologischen Station in Lunz, die heute Teil der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ist.
Rassenwahn und Nazi-Umtriebe machten auch vor Schloss Seehof nicht halt. Aus Angst vor der Deportation baute die jüdische Schlossherrin Pauline Kupelwieser – sie war verwitwet und Mutter von drei Kindern – auf den Schutz angeblich wohlmeinender Nationalsozialisten. Mit fatalen Folgen. Vom einstigen Besitz blieb wenig übrig, weil der Familie nach Kriegsende die Kraft fehlte, für ihre Rechte zu kämpfen.
Mehr als 60 Jahre später nahm ein Enkel Pauline Kupelwiesers die Republik Österreich und das Washingtoner Abkommen beim Wort. Fast vier Jahre lang durchforstete der Entwicklungshelfer Hans Geißlhofer die Archive. Er suchte Dokumente über das landwirtschaftliche Gut seiner Familie in Pyhra. In den zuständigen Archiven waren die meisten Akten skartiert, also zerschnipselt.
Doch Hans Geißlhofer ließ sich nicht entmutigen. 2006 stellte er bei der Schiedsinstanz für Naturalrestitution den Antrag auf Rückgabe des landwirtschaftlichen Gutes Kyrnberg bei St. Pölten. Sein Bruder und weitere Verwandte schlossen sich dem Antrag an.
Der Fall Gut Kyrnberg erforderte aufwändige Recherchen. Bis Post von der Schiedsinstanz kam, vergingen sechs Jahre. Danach erhielt er endlich Post von der Schiedsinstanz für Naturalrestitution. Was lange währte, wurde im Fall Kupelwieser/Geißlhofer dennoch nicht gut. Denn der Spruch lautete:
Entscheidung 853/2012:
DA NICHT GLAUBHAFT GEMACHT WERDEN KONNTE, DASS DIE VERFOLGUNG DER FAMILIE KUPELWIESER KAUSAL FU?R DEN VERKAUF DES GUTES KYRNBERG AN DEN REICHSGAU NIEDERDONAU WAR, LIEGT KEINE ENTZIEHUNG IM SINNE DES ENTSCHÄDIGUNGSFONDSGESETZES VOR.
https://www.entschaedigungsfonds.org/detailansicht/6802881.html
Ein weiterer Satz dieser Entscheidung der Schiedsinstanz für Naturalrestitution regte Hans Geißlhofer besonders auf:
EINE MÖGLICHE RECHTSGRUNDLAGE FÜR EINE ENTEIGNUNG, DIE AUCH IN EINEM UNRECHTSSTAAT WIE DEM NATIONALSOZIALISTISCHEN NOTWENDIG WAR, WIRD JEDOCH NICHT GENANNT.
Hans Geißlhofer im Interview:
"Wie kann man so argumentieren? Es hat einmal einen Landeshauptmann gegeben, der hat zurücktreten müssen, weil er gesagt hat, es war eine ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich... "Fortsetzung im Film LET'S KEEP IT!
Hans Geißlhofer stellte am 19. Juni 2014 einen Antrag auf Wiederaufnahme. Diesmal ohne Verwandte, dafür aber mit Unterstützung eines befreundeten Historikers. Sie durchforsteten noch einmal die Korrespondenz seiner Großmutter, und suchten nach Hinweisen, dass die Enteignung sehr wohl aufgrund des persönlichen Interesses des Gauleiters erfolgte und der Kaufvertrag nur unter Druck zustande kam.
Belege dafür hinterließ Pauline Kupelwieser in versteckter Form. Trotzdem lauitete der Spruch der Schiedsinstanz für Naturalrestitution einmal mehr:
ABGELEHNT!
Entscheidung Wiederaufnahme 16/2016:
https://www.entschaedigungsfonds.org/detailansicht/6881843.html
Hans Geißlhofer hat seinen Fust über die wiederholte Ablehnung seiner Anträge an die Schiedsinstanz für Naturalrestitution kanalisiert und ein Buch über seine Familie geschrieben.
Der Kältesee. Die Vermessung der Mischlinge im Banne der Alpenfestung, Brioni und Mussolini & mehr.- Novum Verlag/united p.c., Neckenmarkt 2017, 271 Seiten. ISBN: 978-3-7103-2444-4, Preis € 19,90 (Amazon-E-book: 16,90.-)
Der Klappentext:
Ein breites Spektrum von fast vergessenen Ereignissen fügt sich zu einer weitverzweigten Familiengeschichte zusammen. Aus Erinnerungen und Nachforschungen entsteht eine persönliche, manchmal ironische, und doch zeitgeschichtliche Aufarbeitung faschistischer Bedrohungen der Kupelwieser- und Wittgenstein-Dynastien bis hin zu NS- Netzwerken und ihren geheimen militärischen Projekten in den Alpen.
Hans Geißlhofer taucht wie in einem Film tief in diese gefahrenvollen Situationen ein und erkennt die Umstände, die das knappe Überleben seiner Familie bewirkt haben. Ein Lehrbeispiel über die Auswirkungen abstruser Rassentheorien.
Buch-Bestellungen:
https://www.novumverlag.com
office (at) novumverlag.com
hansgeissl (at) gmx.net
Copyright Fotos:
Privatarchiv Hans Geißlhofer
BC Filmproduktion